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Schacholympiade Baku 2016 - Nachlese






Schon zum vierten Mal vertrat Oliver Müller den
Weltblindenschachbund, diesmal in Baku

Vom 02. bis 13. September fand in Baku die 42. Schacholympiade des Weltschachbundes FIDE statt.
Stattliche 170 Herren- und 134 Damenteams aus fast ebenso vielen Ländern waren am Start, darunter
auch der Weltblindenschachbund IBCA (International Braille Chess Association). Nach Khanti-Mansijsk,
Istanbul und Tromsö war ich nun schon zum vierten Mal in Folge für die IBCA nominiert. Mit 6 Punkten
aus 9 Partien konnte ich nicht nur die Mannschaft unterstützen, sondern auch eine
persönliche Elo-Performance von 2423 und dadurch einen Zugewinn von 35 Punkten erreichen, womit
ich sehr zufrieden war.

IBCA verteidigt Setzlistenplatz

Mit einer international gemischten Truppe schaffte es die IBCA, sich vom Startranglistenplatz 90 auf
Rang 88 in der Endtabelle ganz leicht zu verbessern, und mit einem etwas besser konzentrierten
Reservespieler wäre sicher noch mehr drin gewesen.

Die Einzelergebnisse der IBCA:

1  IM Meshkov, Yuri             RUS          5,5/10
2  FM Babarykin, Stan.          RUS          5,5/11
3  IM Stachanczyk, Jacek        POL          3,0/9
4  FM Mueller, Oliver           GER          6,0/9
5  CM Ross, Christopher         ENG          0,5/5

Die Medaillengewinner:

Nach 11 Runden Schweizer System erreichten die Vierermannschaften folgende Plätze:

Pl.       Mannschaft          MP
1         USA                 20   (413,5)
2         Ukraine             20   (404,5)
3         Russland            18
...
37        Deutschland         13
...
88        IBCA                11

(von 170 Teams)


Und bei den Damen sah der Zieleinlauf so aus:

Pl.       Mannschaft          MP
1         China               20
2         Polen               17   (427,5)
3         Ukraine             17   (404,5)
...
31        Deutschland         13
...

(von 134 Team, die IBCA hat diesmal keine Mannschaft zusammenstellen können). Eine vollständige
Länderliste mit Tabellenstand findet sich hier:
 www.chess-results.com.


Anmerkung:
Armenien, der Olympiasieger von 2012, hat nicht mitgespielt und seine Absage schon bei der
Festlegung des Austragungsortes in Aserbaidschan angekündigt. Beide Länder befinden sich immer
noch miteinander im Krieg.

Spielbedingungen und das Drumherum

Gespielt wurde in der "Crystal Hall", einer Mehrzweckhalle, die im Jahr 2012 eigens für den ESC
(Eurovision Song Contest) erbaut wurde. Innen eher funktional gehalten, durften sich die Architekten an
der Fassade austoben. Viele Tonnen Stahl und Glas ahmen tatsächlich einen Kristall im Wachstum
nach, der im Dunklen von unzähligen LEDs illuminiert wird.
Die Halle verfügt über eine Klimaanlage, deren Leistungsfähigkeit der Veranstalter in den ersten Tagen
eindrucksvoll unter Beweis stellte. Wollte er, dass wir unsere Mettbrötchen hier deponierten?  Der
Temperaturunterschied von 30° draußen zu gefühlten 18° drinnen sowie eine leichte Zugluft führten dann
wohl dazu, dass ich mich nach fünf Runden erstmal erkältet habe und nach dem Ruhetag noch zwei
weitereTage frei nehmen musste, um  mich provisorisch auszukurieren. Klar hatte ich schon zur ersten
Runde in weiser Voraussicht warme Kleidung mitgenommen, aber mit  sibirischem Klima im Kaukasus
hatte ich dann doch nicht gerechnet. Nach ein paar Tagen wurde es aber besser.
Der Platz für uns Zweibrettspieler war etwas zu eng bemessen, sodass die Schiedsrichter kurzerhand
ihren Tisch opferten, um uns etwas mehr Raum zu gönnen.
Überhaupt waren die Schiedsrichter freundlich, kompetent und hilfsbereit, wobei der eine nur Russisch
und kaum Englisch sprach, was mich doch etwas verwunderte. Ich hatte mich danach erkundigt, und
tatsächlich, man kann internationaler Arbiter werden, auch wenn man fast kein Englisch
kann.Bemerkenswert!
A propos Sprachen: War das letzte mal noch Spanisch angesagt, durfte ich diesmal die Züge  mangels
anderer Sprachkenntnisse meiner Gegner auch auf Russisch ansagen - mittlerweile die vierte Sprache,
in der ich Züge ansagen kann. (Französisch würde auch noch gehen, aber das war komischerweise noch
nie nötig).
Wie immer hatte ich auch meine eigene Uhr mitgebracht, die diesmal aber nach kurzer Erklärung sofort
akzeptiert wurde. Eine von mir extra für die Olympiade erstellte internationale Bedienungsanleitung fand
beim Schiri großen Anklang, denn normalerweise haben nur die Spieler Angst vor Zeitstrafen...

Die Tribünenplätze für das Publikum waren wie schon in den vergangenen zwei Olympiaden eher
bescheiden ausgestattet und dementsprechend spärlich besucht. Ich denke, die werden nur noch aus
Pflichtgefühl bereitgestellt, weil man ja die Partien sowieso im Internet viel besser verfolgen kann und
wohl auch die Spieler dort besser zu sehen sind als auf die Entfernung in der Halle.

Neues gab es bei den Sicherheitsbestimmungen: Neben Handys usw. war es diesmal auch verboten,
Armbanduhren und sogar Feuerzeuge mit in den Turniersaal zu nehmen, alles wegen der "Anti-Cheating"-
Vereinbarung, wobei mir bis heute nicht klar ist, wie man mit einem Feuerzeug betrügen kann.
Wer nun also mal eine rauchen wollte, fand im entsprechend gekennzeichneten Bereich zahlreiche
Einwegfeuerzeuge vor, zumindest am ersten Tag.  Den kleinen Flammenwerfern muss wohl langweilig
geworden sein, denn nach drei Tagen waren alle verschwunden.
Aber auch diese groteske Situation hatte sich irgendwann eingependelt, und es hing zumindest ein
einsamer Anzünder zur freien Benutzung an der Wand, der auch gut bewacht wurde. Was wohl als
nächstes kommt? Gehörgangskontrolle?

Eine Halle mit Begleitprogramm wie Schachkunst, Liveübertragung und Verkaufsständen gab es
natürlich auch,  besonders hervorzuheben ist der Stand mit den Briefmarken:
Hier konnte man sein eigenes Konterfei auf eine gültige aserbaidschanische Briefmarke drucken lassen
und mit dieser dann seine Postkarten frankieren! Das stelle man sich mal hier vor...


Außerschachliches

Baku ist die Hauptstadt von Aserbaidschan und liegt am Kaspischen Meer - mehr wusste ich bis dahin
nicht. Am freien Tag - diesmal gab es nur einen statt zwei - wurde vom Veranstalter  leider kein Ausflug
angeboten, so dass ich mich um die obligatorische Stadtrundfahrt selbst kümmern musste.
Schachfreund Stachanczyk war ebenfalls interessiert, und so machten wir uns zu zweit auf den Weg,
die Haltestelle der Sightseeing-Busse zu finden.
Die knapp einstündige Fahrt führte dann an den wichtigsten und wahrscheinlich einzigen
Sehenswürdigkeiten Bakus vorbei, von denen die Mehrzahl neueren Datums waren. Aber genau das ist
es, was die Stadt auszeichnet: Hier stehen alte Gemäuer mit orientalischen Rundbögen direkt neben
spitzen Glaspalästen und Designerbauten mit Rundungen in allen möglichen Formen. Die Stadt hat sich
in den letzten Jahren stark herausgeputzt und tut es immer noch. Allein unser Fünf-Sterne-Hotel war erst
2015 fertiggestellt worden und lag am komplett neu gestalteten Ufer, dessen großzügig angelegte
Promenade mehrere Kilometer bis zur Crystal Hall am anderen Ende des Stadtzentrums reichte.
Interessant war auch, dass man je nach Tageszeit und Windrichtung riechen konnte, woher der
Reichtum der Region  kommt. Und wenn man vom Ufer ins Kaspische Meer hinunterschaut, kann man
es auch sehen; zum Baden ist die Küste Bakus jedenfalls nicht geeignet...

Die Metropole steht noch am Anfang einer Tourismusindustrie, und nicht zuletzt das angenehme
Meeresklima könnte dazu verleiten, die Region um das Kaspische Meer noch einmal zu besuchen. Von
Frankfurt ist man in knapp fünf Flugstunden dort...

Noch ein Wort zu unserer Mannschaft

Der Kontrakt innerhalb der Mannschaft war diesmal wesentlich besser als in den vorherigen Olympiaden,
was mir persönlich sehr gut gefallen hat.
Jeden Abend trafen wir uns bei unserem Team-Captain, auf altdeutsch Mannschaftsführer, um die
Mannschaftsaufstellung für die nächste Runde zu besprechen. Der Team-Captain war diesmal Nikos
Kalesis aus Griechenland, den man von diversen ebendort ausgerichteten Blindenschachturnieren her
kennt und der seine Sache sehr gut gemacht hat.
Außerdem haben wir uns noch manchmal zusammengesetzt, um gemeinsam Partien zu analysieren
oder auch mal eine Spaßpartie zu spielen, und auch zum Essen waren wir oft gemeinsam am Tisch.

Auch wenn es noch die ein oder andere Sprachbarriere gab, war diesmal der Zusammenhalt innerhalb
der Mannschaft größer als sonst. Ich denke, dass mir genau das an der gesamten Veranstaltung am
besten gefallen hat.

Oliver Müller








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